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15 juin 2007 5 15 /06 /juin /2007 01:42


Die deutsche Wiedervereinigung hat nicht stattgefunden. Man darf den bisherigen Prozess der politisch-institutionellen Einigung und wirtschaftlichen Annährung mit einer genuinen Wiedervereinigung des deutschen Volks nicht verwechseln. Die einen zahlen für die anderen und alle sind Bürger desselben Staats. Aber man kann nicht sagen, dass es heute wirklich ein gemeinsames nationales Bewusstsein in den alten und in den neuen Bundesländern gibt. Die unter preußischer Führung verwirklichene Einigung Deutschlands wird oft als eine Einigung „von oben“ bezeichnet. Die Wiedervereinigung aber beruht auf der Illusion, dass sie „aus untern“, aus der Subtanz der deutschen Bevölkerung stattgefunden hat. Nein, die Deutschen sind kein Volk.
Das Problem ist aber nicht, dass man es nicht weiß: das gegenseitige Gefühl von Abstand und sogar von Verachtung ist allen klar. Das Problem ist eher, dass es einfach nicht gestellt wird. Niemand, ich sage ja niemand, sagt: wir mögen uns gegenseitig nicht. Kein Politiker sagt es. Kein Soziologe, kein Schriftsteller, kein Jurist, kein Philosoph sagt es. Weil man es sowieso weiß und weil es weh tut. Jeder weiß, dass der größte Traum Deutschlands der Nachkriegszeit, der eines vereinigten Deutschlands, einfach geplatzt ist. Und genau dieses oft nur dunkel empfindene Problem ist genau das, was die Ursache dieses allgemeinen Schweigens ist. Deutschland hat gescheitert und scheint dazu verurteilt, seine Einheit nicht zu schaffen.
Ein anderes Symptom für diese Tabuisierung ist vielleicht, dass das Problem der Wiedervereinigung rein volkswirtschaftlich gestellt wird. Der westdeutsche gesunde Menschenverstand sagt: wir haben massiv bezahlt und die Ostdeutschen sind uns nicht dafür dankbar. Und die Volkswirten kritisieren inzwischen in ihrem Jargon die bisherigen „Transferleistungspolitik“, Entscheidungen wie die Währungsunion oder die Art und Weise, wie die DDR-Staatsfirmen privatisiert worden sind. Aber Wörter wie „Deutschland“, „Nation“, „Geschichte“, „Politik“ werden nie ausgesprochen.
Das Problem Wiedervereinigung stellen heißt erstens dieses Problem benennen. Ein mit der Psychoanalyse vielleicht vergleichbarer Prozess des Zumausdruckbringens ist höchst notwendig. Die deutsche Öffentlichkeit soll zu einem Sofa für das nationale Unbehagen werden. Der Beitrag der Journalisten und der Medien besteht hier darin, dass sie noch mehr als heute den Menschen die Möglichkeit geben, ihr Gefühl, Unbehagen, Nostalgie ja sogar ihr Hass und Verachtung für das heutige Deutschland und für die West- oder Ostdeutschen zu sagen. Dies kann aber nur sinnvoll sein, wenn es sich nicht um eine weitere Fernsehreportage handelt, sondern um ein allgemeineres Bewusstwerden, das wirklich aus den Deutschen selbst kommt und aus dem Willen, sich über die mit der Wiedervereinigung verbundenen Schwierigkeiten im klaren zu sein.
Aber man muss die Wiedervereinigung auch verstehen und auf den Begriff bringen. Der Beitrag der Soziologen, Philosophen, Juristen oder Schriftsteller muss hier sein, dass sie sich diesem Problem zuwenden und es nicht bloß den Volkswirten überlassen. Weil das nationale Bewusstsein ein Thema ist, das eindeutig einer soziologischen, begrifflichen und empirischen Erläuterung bedarf, und das nicht einfach auf seine sozialtechnischen und wirtschaftlichen Aspekte beschränkt werden kann. Das Problem der Wiedervereinigung ist nicht das der zu massiven Transferleistungen oder der unangeeigneten makroökonomischen Maßnahmen nach 1989, einfach weil es kein nationales Problem gibt, das sich auf volkswirtschaftliche Kategorien reduzieren lässt.
Die heute missgelungene Wiedervereinigung ist aber nur ein Teil einer größeren und vielleicht noch schärferen Frage: was will Deutschland sein? Die nationale Frage, die Frage nach dem, was Deutschland sein will, ist mit der nach der Identität Deutschlands nicht zu verwechseln. Was Deutschland ist, sagt uns das erste beste Lehrbuch zur deutschen Geschichte und zur deutschen Kultur. Aber was Deutschland sein will, kann im Grunde genommen niemand erklären. Denn eine der Schwierigkeiten ist, dass man eben nicht weiß, welches vereinigtes Deutschland man will. Wie könnten denn die West- und Ostdeutschen ein gemeinsames nationales Bewusstsein teilen, wenn man schon nicht weiß, was das nationale Projekt des heutigen Deutschlands ist?
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